Streik bei Schabmüller in Berching/Bayern
„Die Tonnen brennen, bis die Tinte trocken ist“

Streik. Seit dem 23. April haben die 500 Beschäftigten bei Schabmüller im bayerischen Berching die Arbeit niedergelegt. Ihre Löhne liegen 22 Prozent unter Tarif. Sie kämpfen gemeinsam mit der IG Metall für einen Tarifvertrag. Vor ihren Werkstoren sind sie zu einer Familie geworden.


Erster Mai - achter Streiktag beim Elektromotorenbauer Schabmüller in Berching in der bayerischen Oberpfalz. Am Morgen fahren sie mit einem Demo-Autokorso zur Maikundgebung ins 20 Kilometer entfernte Neumarkt, mittags geht es wieder zurück zum Streik vor ihrem Werk. Die Sonne knallt. Es wird gegrillt, viele haben Salate und Kuchen mitgebracht. Einige spielen Kicker im Zelt. Ein Eiswagen kommt vorbei. Kinder malen mit Kreide IG Metall-Logos auf den Asphalt.

„Wir sind eine echte Familie geworden“, meint einer der Streikposten, der seit 4.30 Uhr hier ist. „Mein Auto sieht aus, als hätte mich meine Frau rausgeschmissen: Decken, Campingstühle, Jacken – ich hab‘ alles dabei.“

Als heutiges Highlight hat Kollege Walid aus Ägypten einen „Tarif-Maibaum“ gestiftet, den sie gemeinsam aufstellen. Sie haben ihre Forderungen daran gehängt: Mehr Geld, mehr Wert, mehr Miteinander. 35-Stunden-Woche für alle. Tarifvertrag.
 

22 Prozent unter Tarif - 40 Stunden in der Woche

An die Arbeit wollen die rund 500 Beschäftigten erst wieder, wenn sie ihren Tarifvertrag haben. Ihre Löhne liegen 22 Prozent unter dem Metall-Tarif. Viele haben nur 15 Euro Grundlohn in der Stunde. Ihr Arbeitgeber ist vor 20 Jahren aus dem Tarif ausgestiegen. Damals erhöhte er auch die Arbeitszeit von 35 auf 40 Stunden - befristet, hieß es damals. Doch die Regelung wurde immer wieder verlängert. Sie haben genug von den falschen Versprechen. Sie wollen endlich Verlässlichkeit und Rechtssicherheit.

„Dieser Betrieb wird bestreikt“, steht auf einem Plakat an der Werkseinfahrt. Davor spielen Bands mit Beschäftigten aus dem Betrieb. Für das Schlagzeug haben sie einen Teppich auf den Rasen gelegt. „Wir haben uns mittlerweile eingegroovt“, meint Betriebsbetreuerin Rebecca Frank von der IG Metall Regensburg. „Gebraucht hätten wir das nicht. Aber der Arbeitgeber lässt uns keine andere Wahl. Wir werden auch noch eine Weile weiterstreiken müssen. Die Feuertonnen brennen, bis die Tinte unter dem Tarifvertrag trocken ist.“

Denn erst am 7. und 8. Mai will der Arbeitgeber weiterverhandeln. Zwei Verhandlungsangebote der IG Metall hat er gerade abgelehnt. Alle hier schütteln darüber nur den Kopf.„Wir haben immer wieder spontane Termine angeboten, um die Verhandlungen zu beschleunigen – aber die Arbeitgeberseite verschleppt“, kritisiert Verhandlungsführerin Olga Redda von der IG Metall Regensburg. Immerhin hat die Arbeitgeberseite – Schabmüller gehört der italienischen ZAPI-Gruppe, deren „General Manager“ mit in der Verhandlung sitzt – während des Erzwingungsstreiks endlich mal ein „belastbares und ernst zu nehmendes Angebot“ per E-mail gemacht, meint Olga Redda. „Allerdings nur beim Geld – nicht jedoch bei der Arbeitszeit.“

Streik zeigt Wirkung – Kunden fragen nach

Dabei zeigt der Streik längst Wirkung: Kunden fragen an, wo ihre Elektromotoren (etwa für Gabelstapler und Landmaschinen) bleiben. Das wird teuer für Schabmüller. Nicht nur wegen dem Produktionsausfall, sondern auch wegen der Konventionalstrafen für ausbleibende Lieferungen erklärt Thomas Brenner, Leiter der IG Metall-Vertrauensleute bei Schabmüller. „Ich bin seit 21 Jahren hier und kenne Schabmüller als guten, soliden Arbeitgeber. Doch in letzter Zeit gehen vermehrt Mitarbeiter, die sagen: Tut mir leid, ich kann es mir nicht mehr leisten, hier zu arbeiten. Zudem werden in den nächsten Jahren 150 altersbedingt gehen. Wie wollen wir so unsere Zukunft sichern?“

Dabei ist Schabmüller ein kerngesunder Betrieb. In den letzten acht Jahren hat sich der Umsatz verdoppelt. Die Gewinne sind meist zweistellig. Doch die Beschäftigten bekommen davon nichts ab. Deshalb stimmten bereits letztes Jahr im Februar 96 Prozent der Beschäftigten für einen Tarifvertrag. Vor einem Jahr übergaben sie ihrem Arbeitgeber dann die Forderungen. Dieses Jahr feiert Schabmüller sein 100-jähriges Bestehen. Da wäre ein Tarifvertrag doch ein gutes Zeichen: Verlässlichkeit, auch für das Unternehmen und seine Kunden.

Beim Gespräch mit Vertrauenskörperleiter Thomas Brenner kommt ein älterer Beschäftigter kurz vor der Altersteilzeit dazu, mit einem IG Metall-Beitrittsschein in der Hand. Er war 2019 ausgetreten. Doch jetzt will er wieder dabei sein. „Wegen der Solidarität“, erklärt er. „Ich hab‘ gestern bei der Kundgebung fast zu heulen angefangen. Man muss da sein, um das zu verstehen. Ich habe auch meiner Tochter und meiner Enkelin gesagt, sie sollen vorbeikommen.“

Fünf Verkäufe hat er in den letzten 30 Jahren miterlebt – zuletzt von der Investmentgesellschaft Aurelius, die enormen Profit aus ihnen herausholte, an den italienischen Elektronikkonzern ZAPI. Das Miteinander wurde immer weniger, findet er, die Anerkennung für die Belegschaft. „Doch jetzt ist die Stimmung bombig. Die haben endlich wieder Respekt vor der Belegschaft. Lasst Euch bloß nicht reinlegen“, gibt er Thomas Brenner mit, der auch Mitglied der Verhandlungskommission ist.
 

Kampf bei Schabmüller strahlt aus

Jeden Tag treten Beschäftigte in die IG Metall ein – nicht nur von Schabmüller, sondern auch aus umliegenden Betrieben, die sehen, was hier passiert. Und sie fragen nach: Wie geht das? Wie habt ihr das gemacht?

„Unser gemeinsamer Kampf um einen Tarifvertrag hier bei Schabmüller strahlt in andere Betriebe in der Region aus“, berichtet Rico Irmischer, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Regensburg, der derzeit meist in seinem Wohnwagen neben dem Werksgelände übernachtet. „Wir haben immer mehr Anfragen aus Belegschaften, die sich organisieren wollen.“

Und jeden Tag kommen Metallerinnen und Metaller aus ganz Bayern vorbei, um ihre Solidarität zu demonstrieren, um Spenden zu bringen und die Streikenden zu unterstützen. Auch Horst Ott, der Bezirksleiter der IG Metall Bayern schaut nachmittags auf dem Rückweg von seiner Rede auf der Mai-Kundgebung in Bamberg mit seinem Team noch mal bei den Streikenden vorbei.Mittlerweile ist ihr Streik in allen Medien. Und es spricht sich herum, in den Dörfern, in der ganzen Oberpfalz. Am Morgen hat die Betriebsratsvorsitzende Christine Billmann auf der Maikundgebung vor dem alten Rathaus von 1430 in Neumarkt unter Applaus von ihrem Streik bei Schabmüller berichtet. „In den letzten Jahren ist das Delta zwischen unseren Löhnen und dem Metall-Tarif immer größer geworden. Wir haben dem Arbeitgeber Schritte angeboten, um das Delta nach und nach zu schließen. Doch unser Arbeitgeber wollte uns in den ersten Verhandlungen ganze 17 Euro mehr im Monat in der Ecklohngruppe geben. Und wir sollten weiter kostenlos fünf Stunden mehr in der Woche arbeiten. Deshalb haben wir nicht leichten Herzens zu 97,62 Prozent für den unbefristeten Streik gestimmt.“

Der Streik bei Schabmüller in Berching/Oberpfalz
Streik bei Schabmüller in Berching

Der Streik beim Elektromotorenbauer Schabmüller in Berching beginnt am 23. April. 97,62 Prozent der IG Metall-Mitglieder haben in der Urabstimmung für den unbefristeten Streik gestimmt. Vier Warnstreiks und Verhandlungen hatten keinen Fortschritt gebracht.

„Wir sind im Streik eine Familie geworden“, sagen die Schabmüller-Beschäftigten. Der Streik wird zum Familienfest. Kinder und Enkel der Schabmüller-Beschäftigten malen IG Metall-Logos auf die Straßen. Hier bei der Maikundgebung in Neumarkt/Oberpfalz.

Wenn der Streik zum Familienfest wird: Grill, Salate, Kuchen, Getränke, ein großes Zelt mit Kicker, Klowagen – hier ist alles da. Und wenn was fehlt, organisieren die Streikenden und die IG Metall Regensburg alles in kürzester Zeit. Nächste Woche kommen Döner-Spieße.  

Streikende Schabmüller-Beschäftigte auf der Kundgebung zum 1. Mai in Neumarkt. Die 20 Kilometer vom Werk sind sie gemeinsam in einem Demo-Autokorso herübergekommen und durch die Altstadt marschiert. Die Betriebsratsvorsitzende Christine Billmann berichtete auf der Bühne über ihren Streik.

Musik von Streikenden für Streikende, von Schlager bis Metal: Schabmüller-Beschäftigte spielen mit ihren Bands auf dem Streikfest vor dem Werk. 

Nadine Boguslawski, geschäftsführendes IG Metall-Vorstandsmitglied für Tarifpolitik, besuchte die Streikenden bei Schabmüller. Der Vorstand der IG Metall hat den Antrag der Mitglieder bei Schabmüller auf Urabstimmung und Streik genehmigt – und steht voll hinter den Streikenden.

Mit 141 Dezibel für einen Tarifvertrag

Mit 30 Autos haben sie auf der B299 auf dem Weg nach Neumarkt hupend demonstriert und sind dann im Demozug mit Trillerpfeifen durch die Altstadt zur Maikundgebung vor dem historischen Rathaus von 1430 marschiert – „mit 141 Dezibel, mehr als ein Kampfflugzeug“, berichtet grinsend IG Metall-Vertrauensmann Robert Nießner, der sein Messgerät mitgebracht hat. Den ganzen Tag lang trägt er seine doch sehr massive „persönliche IG Metall-Kuschelfahne“ über der Schulter. „Die ist bei mir angewachsen“, betont er.

Der gebürtige Leipziger hatte schon viele schlechtere Jobs – und härtere, etwa zwei Jahre auf dem Bau in Irland. Vor etwas mehr als sieben Jahren blieb er dann bei Schabmüller in der Oberpfalz hängen, fühlte sich sofort wohl, bildete sich zum Betriebssanitäter und zur Sicherheitsfachkraft weiter und wurde schließlich IG Metall-Vertrauensmann. „Ich arbeite gern hier, auch wenn ich woanders mehr verdienen würde, und bin fast nie krank, so wie viele andere hier. Aber irgendwann müssen wir auch etwas abbekommen“, betont Robert Nießner. „Klar hatten wir anfangs auch Angst. Warnstreik. Ganztägiger Warnstreik. Streik. So etwas hat ja noch keiner hier erlebt. Aber wir sind gemeinsam aufgestanden und haben gesagt: Wir wollen einen Tarifvertrag, über den wir mitentscheiden. Das ist Demokratie.“

 

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